gelesen und zitiert by JungeFreiheit vom 23. Mai 2017
Wo bleibt der Appell zur Abwehr, zum Kampf?
Die Reaktionen sind die üblichen. Die Regierung warnt vor
Vorverurteilungen und wiederholt zum zigsten Mal, daß „absolute
Sicherheit“ nicht möglich sei, die Experten erklären bedeutungsschwer,
welche Zusammenhänge möglicherweise mit irgendwelchen Ereignissen am
anderen Ende des Planeten bestehen. Alle Welt bekundet ihre Trauer, und
die Sozialen Netzwerke schwirren von den widersprüchlichsten
Botschaften. Die Stimme des Nachrichtensprechers klingt anfangs etwas
belegt, aber dann hat er sich wieder im Griff, kein Mensch kommt auf die
Idee, den Musikteppich abzustellen, der im Hintergrund läuft.
Gleichgültigkeit
Das am häufigsten benutzte Wort, um die eigene Gemütslage zu
erklären, ist: „Betroffenheit“. Aber es handelt sich nur um eine
Konvention, eine Chiffre. Denn Anschläge wie der in Manchester machen in
Wirklichkeit nicht „betroffen“, sie betreffen uns nicht, weil
diejenigen, die getroffen sind, mit uns nichts zu tun haben, und wir
nicht glauben, daß wir zu treffen sind.
Insofern verfehlt der Terror die Wirkung, die er eigentlich haben
will: „Schrecken“ verbreiten, eine Art Angststarre auslösen, in der die
einzelnen vereinzelt und wehrlos nur noch auf den entscheidenden Schlag
warten, dem man nicht entgeht, ganz gleich, ob schuldig oder unschuldig.
Es hat sich eine Gelassenheit verbreitet, die nichts mit überlegener
Ruhe zu tun hat, sondern Gleichgültigkeit ist, besonders seitens der Politiker.
Eine Mischung aus der Annahme, daß man selbst in keiner konkreten
Gefahr steht und der Vorstellung, daß das Leid der Opfer zwar
bedauerlich sein mag, sich aber im Grunde nicht von dem anderer
unterscheidet, die eine Naturkatastrophe auslöscht. In Manchester war es
eben kein Tornado, keine Springflut, keine Lawine, sondern ein
entschlossener Mann im Besitz einer Nagelbombe.
Soziale Atomisierung
Diese Haltung unterscheidet sich radikal von derjenigen, die die
Menschen während des Terrors in den „Bleiernen Jahren“ an den Tag
legten, als die Mörder keine fanatisierten Moslems, sondern fanatisierte
Linke waren. Niemals haben Aktionen der RAF, der Roten Brigaden, der
Action Directe, der ETA den Tod so vieler Unbeteiligter nach sich
gezogen wie dieses eine Attentat von Manchester. Trotzdem waren die
Reaktionen ungleich heftiger, und sie waren kollektive. Die soziale
Atomisierung hatte längst nicht den Grad erreicht, den man heute in den
„offenen Gesellschaften“ als Normalität betrachtet.
Ein Mord an irgendeinem Politiker, Beamten, Wirtschaftsführer,
Polizisten, von irgendeinem Kommando begangen, wurde grundsätzlich als
Angriff auf das Ganze betrachtet. Es klärten sich sofort die Fronten:
hier die große Mehrheit der Anständigen, unerbittliche Gegner des
Terrors, da die einflußreiche und wortgewaltige Minderheit der
„Halbverrückten“ (Stefan Dietrich), die aus ihrem Wohlwollen für Baader,
Meinhof, Ensslin, Raspe etc. keinen Hehl machten. Man wußte, wo man
stand, und man wußte auch, daß man nicht allein war, mit der Forderung
nach scharfem Durchgreifen, nach Trockenlegen des
„Sympathisantensumpfs“, nach: Vergeltung.
Kein Appell zur Geschlossenheit
Die Hitze der damaligen Reaktion und die Kühle der heutigen haben
etwas mit Vitalitätsverlust zu tun. Man fügt sich in das Unvermeidliche,
weil es unvermeidlich ist. Kein Appell zur Geschlossenheit, zur Abwehr,
zum Kampf. Eigentlich gar keine Anerkennung der Tatsache, daß man sich
im Kampf befindet. Wenn die britische Innenministerin von einem
„barbarischen Akt“ spricht, ist die Feststellung richtig, aber nicht
ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist, daß der Prozeß der Dekadenz in der
westlichen Welt die Abwehr der Barbaren/Islamisten fast unmöglich gemacht hat. So
ähnlich unsere Lage derjenigen des späten Rom auch sein mag. In einem
haben wir es schwerer: „die Barbaren stehen schon diesseits des Limes“
(Alasdair MacIntyre).