gelesen und zitiert by Hans-Werner-Sinne Homepage 17. Februar 2017
Die Europäische Union sollte Großbritannien ein großzügiges Freihandelsabkommen anbieten, empfiehlt Hans-Werner Sinn.
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 08.02.2017, S. 48
Theresa May hat die Entscheidung verkündet. Ohne Wenn und Aber wird Großbritannien aus der EU ausscheiden und dann neue Handelsabkommen vereinbaren. Lösungen wie für die Schweiz oder Norwegen gefallen den Briten nicht, weil sie ihre Immigrationspolitik allein bestimmen wollen. Sie wollen sich auch nicht mehr dem EuGH unterwerfen, den sie beschuldigen, interessengeleitete Entscheidungen getroffen zu haben.
Die EU-Offiziellen reagieren verschnupft und drohen an,
Großbritannien den Freihandel zu verwehren. Man könne nicht zulassen,
dass sich die Briten die Rosinen aus dem gemeinsamen Markt herauspicken.
Freihandel und Freizügigkeit gehörten logisch zusammen. Auch bestehe
die Gefahr, dass es Nachahmer gebe, wenn man Großbritanniens Wünschen
nun entgegenkomme. Das Ziel, die Briten abstrafen zu wollen, ist klar
erkennbar. Beide Argumente sind fundamental falsch!!
So bedauerlich es ist, dass die Briten aus der EU ausscheiden, so
falsch ist die Auffassung, Freihandel und Arbeitnehmerfreizügigkeit
würden einander bedingen. Gerade dann, wenn Arbeitskräfte nicht wandern
können, sind die beiderseitigen Gewinne aus Freihandel besonders groß.
Migration und Freihandel sind nämlich bezüglich der ökonomischen
Wirkungen und der Wohlfahrtsgewinne, die daraus resultieren, weitgehend
Substitute, wie die reine Außenhandelstheorie schon lange nachgewiesen
hat. Wenn die Migration nicht möglich ist und sich insofern
unterschiedliche Lohnstrukturen zwischen den beteiligten Ländern
ergeben, sind die Handelsgewinne besonders groß. Unterschiedliche
Lohnstrukturen bedingen nämlich unterschiedliche Güterpreisstrukturen,
die selbst wiederum der Grund für die Freihandelsgewinne sind. Kurzum:
Die EU würde sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie nicht auf die
Freihandelsbegehren der Briten einginge.
Auch das Argument, man müsse sonst Angst vor Nachahmern haben, ist in
höchstem Maße dubios. Es gibt zwei Typen von Föderationen. Der eine
Typus genügt dem Kriterium der Pareto-Optimalität. Die Gemeinschaft
trifft ihre Entscheidungen im Einvernehmen aller Länder, und weil das so
ist, werden nur solche Entscheidungen getroffen, die für einzelne oder
alle Länder Vorteile bringen, ohne dass jemand Nachteile hat. Sind die
Gemeinschaftsentscheidungen einstimmig, ist sichergestellt, dass sie den
Kuchen vergrößern und dass jeder freiwillig mitmacht, weil er sich
besser stellt.
Der andere Typus ist durch die Umverteilung von Ressourcen zwischen
den Ländern und Mehrheitsentscheidungen gekennzeichnet. Hier gibt es
Gewinner und Verlierer. Da die Mehrheit ihre Entscheidungen auch dann
durchdrücken kann, wenn sie dabei weniger gewinnt, als die Verlierer
verlieren, wird der Kuchen durch die Gemeinschaftsentscheidungen häufig
verkleinert, und sehr unzufriedene Länder bleiben zurück.
Dieser Typus von der Union ist inhärent instabil, denn die Verlierer
neigen zum Austritt. Um sie daran zu hindern, muss man sie bestrafen,
wenn sie es tun. Das ist offenbar die Logik, die vielen EU-Politikern
vorschwebt. Deswegen soll an Großbritannien ein Exempel statuiert
werden.
Der neue amerikanische Präsident gibt den Briten freilich
Rückendeckung, und er prognostiziert, dass noch mehr Länder austreten
werden. Damit er mit seiner Prognose nicht recht bekommt, sollte die EU
sich ändern und von ihren umverteilenden Maßnahmen ablassen. Das gilt
insbesondere auch für die neuen Pläne, einen gemeinsamen
EU-Finanzminister mit einer eigenen Steuerhoheit einzurichten.
Nur eine Union, die dem Pareto-Prinzip genügt, ist inhärent stabil.
Eine Union, die zwischen den Ländern umverteilen will, läuft stattdessen
Gefahr, eine Zwangsgemeinschaft zu werden, in der sich auch noch andere
Länder sehr unwohl fühlen werden. Wer sie mit Strafen und
Zwangsmaßnahmen zusammenhalten will, riskiert, dass sie das Schicksal
der Sowjetunion erleidet.
Auch das spricht dafür, Großbritannien ein attraktives
Freihandelsabkommen anzubieten, statt es zu bestrafen. Nur wenn der
Austritt aus der EU nebst einer attraktiven Position außerhalb der EU
möglich ist, sind die Nettozahler der EU gegen Ausbeutung geschützt, und
nur dann ist die EU stabil, so paradox das zunächst klingen mag. Die
Freiwilligkeit des Bündnisses ist die Grundvoraussetzung für seine
wirtschaftliche Prosperität und seinen Erhalt.
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