Kolumne: Grauzone. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat zum Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft einen Leitfaden veröffentlicht. Darin steht, wie sich die Linke offenbar die Zukunft vorstellt: Deutschland soll zu einer transformatorischen Siedlungsregion in der Mitte Europas werden
Federführend am Leitfaden: Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz / picture alliance |
„Niemand ist neutral“, so steht es in dem „Leitbild und Agenda für die Einwanderungsgesellschaft“ genannten Opus, das die Friedrich-Ebert-Stiftung diese Woche vorgelegt hat. Nehmen wir es vorweg: Zumindest dieser Satz ist wahr.
Denn was die Autoren unter dem Vorsitz von Aydan Özoguz,
Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration,
zusammengeschrieben haben, ist ein besonders aufschlussreiches
Kompendium dessen, wie sich die politische Linke die Zukunft vorstellt.
Um es vorwegzunehmen: Man will Deutschland umbauen und zwar gründlich.
Migrationsbewegungen als Realität
Um die dahinterliegenden ideologischen Motive zu verschleiern, werden
dabei alle rhetorischen Register gezogen, um Alternativlosigkeit zu
suggerieren. Der Subtext dabei ist sonnenklar: Wer diese angeblichen
Tatsachen nicht anerkennt, ist entweder naiv, reaktionär oder bösartig. Entsprechend werden die aktuellen Migrationsbewegungen als
unabänderliche Tatsachen dargestellt („Realität“), Einwanderung als ein
schicksalsartiger „Prozess“ und Deutschland als ein Land, das schon
immer Einwanderungsland war. Dass Wanderungsbewegungen durch politische
Entscheidungen erzeugt werden, Einwanderung kein Naturgesetz ist und die
Flucht von Marienbad nach Regensburg doch etwas anderes als die von
Damaskus nach Osnabrück, wird dabei geflissentlich übersehen.
Denn zum Hauptkennzeichen moderner Ideologien gehört, sich
unideologisch zu geben. Also stilisiert sich die FES-Schrift als
pragmatisch. Ihre Empfehlungen zur doppelten Staatsbürgerschaft oder
leichteren Einbürgerung, man ahnt es, haben allein sachliche Gründe und
sind der Realität geschuldet.
Leitbild statt Leitkultur
Doch ganz ohne offizielle Normvorgaben will auch die FES-Agenda nicht
auskommen. Also entwirft sie ein „Leitbild“. Dieser Begriff ist kein
Zufall. Er soll die Leitkultur ersetzen. Denn Leitkultur klingt
vermutlich zu gestrig, eng und irgendwie zu national.
Das neue Leitbild hingegen strotzt vor Vielfalt, Diversität und
hybriden Identitäten. Proklamiert wird eine Gesellschaft hochgradig
flexibler Individuen, die ihr Selbstbild permanent zur Disposition
stellen und sich immer neu erfinden. Ihre Identität beziehen sie nicht
länger aus einer kulturellen Überlieferung und Tradition, sondern aus
sich stetig umbauenden sozialen Netzwerken. Der Wertewandel selbst wird
zum Wert. Das Ideal ist der entwurzelte Mensch, denn nur er ist voll
funktionsfähig in der entgrenzten Welt globaler Austauschbarkeit.
Interkulturelle Kompetenzen ausbauen
Da die Verfasser der Studie wahrscheinlich ahnen, dass dieses Ideal
einer Gesellschaft im Dauertransformationsprozess auf Widerstände stößt,
empfehlen sie eine Reihe pädagogischer Maßnahmen, mit deren Hilfe das
weltanschauliche Ziel einer interkulturellen Öffnung durchzusetzen ist.
Zwar will man die Menschen auch „mitnehmen“. Doch Vertrauen ist gut,
Kontrolle ist besser. Also empfiehlt man Weiterbildungsmaßnahmen und
Quoten für Migranten in Unternehmen und Institutionen. Arbeitnehmer
sollen in ihrer interkulturellen Kompetenz gestärkt und für
Diskriminierungen sensibilisiert werden. Und wenn alles nichts hilft,
drohen rechtliche Sanktionen. So sollen Verbandsklagen gegen
Diskriminierungen ermöglicht werden.
Um auch seitens der Wissenschaft den notwendigen ideologischen
Flankenschutz zu bekommen, will man die Integrationsforschung ausbauen.
Und damit diese Selbstermächtigung eines ganzen Apparates mit medialem
Wohlgefallen begleitet wird, regt die Studie an, die
Diversitätskompetenzen von Journalisten zu stärken.
Ausweitung des Wahlrechts
Bleibt ein Ärgernis: das deutsche Grundgesetz. Denn nach dessen
Artikel 20 geht die Staatsgewalt vom Volke aus. Man liegt wahrscheinlich
nicht falsch, wenn man vermutet, dass dies den Verantwortlichen der
FES-Schrift zu national gedacht ist. Entsprechend wird dazu aufgerufen,
„einen grundgesetzkonformen Weg für die Ausweitung des Wahlrechts“ zu
finden. Wählen soll nicht das deutsche Volk, sondern die Einwohnerschaft
Deutschlands.
Keine Frage: Das alles hat Logik. Im Kern zielt diese Initiative
darauf ab, Deutschland in eine transformatorische Siedlungsregion in der
Mitte Europas zu verwandeln. Das kann man gut finden. Sollten Sie
jedoch zu denen gehören, die das bedauern oder als übergriffig
empfinden, empfehle ich einen Weiterbildungskurs in
Diversitätskompetenz.