Das Projekt der Wiedervereinigung beruhte auf der Vorstellung des
Volkes, dass es da etwas gab, das über die Mauer hinweg verband und wert
war, wieder zusammenzukommen. Das Projekt der Eliten beruht auf der
Vorstellung, dass sich das Volk 1989 geirrt hat.
„Wir werden uns unser Land und unser Volk
zurückholen.“ Alexander Gaulands Satz, gesprochen in dem Moment der
Wahlnacht, als alle Aufmerksamkeit auf der AfD lag, markierte mit
Präzision und hoher rhetorischer Durchschlagskraft die Bruchstelle, die
durch die Gesellschaft verläuft. Sie dreht sich einzig um die Frage: Wem
gehört dieses Land?
Vor ihrer Beantwortung bedarf diese Frage zuerst einer Erklärung dahingehend, warum sie sich überhaupt stellt. Die vergangenen Jahre, vielleicht sogar die letzten zwei Jahrzehnte, stellen den Versuch eines gesellschaftsverändernden Projekts dar; ein Projekt, welches von den Eliten der Gesellschaft, also „von oben“, initiiert und durchgeboxt worden ist. Das Gegenteil davon verkörpert eine friedliche Revolution „von unten“ wie die in der DDR, welche zur Wiederherstellung der deutschen Einheit geführt hat. Während das Projekt der Wiedervereinigung auf der Vorstellung des Volkes beruhte, dass es da etwas gab, das die Deutschen über die Mauer hinweg verband und das es wert war, wieder zusammengebracht zu werden, so beruht das jüngere Projekt der Eliten auf der Vorstellung eben dieser, dass sich das Volk 1989 geirrt hat.
Mit der von ihnen kolportierten politischen Kultur, die sich in den USA
unter Obama und in Deutschland unter Merkel zur vollen Kraft entfalten
konnte, haben die Eliten jahrelang Schwerstarbeit geleistet, deren
Erfolge sich sehen lassen können: Sie haben systematisch das zerstört,
was unter dem Begriff des „sozialen Kapitals“ einer Gesellschaft
zusammengefasst wird. Dieses soziale Kapital findet seinen Ausdruck in
der intuitiven Ahnung der Bürger, dass es etwas Gemeinsames gibt, mit
dem sie alle vertraut sind und das sie miteinander teilen. Dies
vereinfacht ihre Kooperation und hält ihr Zusammenleben intakt. Bildhaft
gesprochen ist das soziale Kapital dort am höchsten, wo die Haustüren
unabgeschlossen bleiben können.
Diese Gruppen grenzen sich nicht nur scharf in ihren Wertvorstellungen voneinander ab, sie sind auch, was ungleich problematischer ist, nicht mehr in der Lage und nicht mehr willens, über diese unterschiedlichen Wertvorstellungen hinweg miteinander zu kommunizieren oder gar zu kooperieren.
Befeuert wird diese Zersplitterung noch durch eine Politik, die diese
Identitäten nicht wieder zu überwinden sucht, sondern sie sich zu eigen
macht, indem sie bestimmte Gruppen ausselektiert und sie zu den Opfern
anderer Gruppen stilisiert, so dass die Feindseligkeiten und Gräben sich
vertiefen. Im Ergebnis schwärmen die einen von einem weltoffenen,
bunten Deutschland und hassen alle, die diesen Traum nicht teilen,
während die anderen diese Leichtfertigkeit verachten und befürchten,
dass dieses Deutschland nicht viel mehr als den Namen mit dem gemein
haben würde, was sie ihre Heimat nennen. Die Möglichkeit, dass beide
noch zum Gespräch am selben Tisch zusammenkommen, ohne sich
wechselseitig vorzuhalten, nicht zu Deutschland zu gehören, scheint
ferner denn je.
Die AfD ist als relativ junge Erscheinung die Verkörperung all dessen,
was dem Projekt der Eliten noch im Weg zu stehen scheint. Sie entspringt
natürlich selbst dem Bemühen, das Gemeinsame und Verbindende unter den
Deutschen aufzulösen, denn die AfD ist die erste politische Bewegung,
die offen und erfolgreich diejenigen abgrenzt und hinter sich
versammelt, die Widerspruch einlegen möchten. Das heißt, auch sie ist
der politische Sendbote einer weiteren Gruppe, nicht eine einigende
Kraft.
Ihr Einzug als drittstärkste Fraktion in den deutschen Bundestag ist
ein Fanal des Versagens der Eliten, welche alles in ihrer Macht Stehende
getan hatten, um dies zu verhindern. Vornehmlich westdeutsche
Spitzenpolitiker hatten das Maximum an Feindseligkeit gegen die AfD
abgefeuert, kulminiert in der Aussage des gescheiterten
Kanzlerkandidaten: „Die AfD gehört nicht zu Deutschland“.
Die wütenden, zornigen Reaktionen auf Gaulands Worte vom Wahlabend waren
somit schlicht ein Ausdruck der Angst, die Deutungshoheit über das
Thema Deutschland zu verlieren, in dem Moment, als besagter Gauland die
Dreistigkeit besaß, ebenfalls einen Anspruch auf das Land zu erheben.
Dieser wurde nicht nur von den üblichen Journalisten so vehement
zurückgewiesen, dass dabei klar wurde, dass allein die Vorstellung eines
anderen Deutschlands einem ganz persönlich empfundenen Angriff auf
Lebensstil und Freiheit gleichkam. Die Ankündigung der AfD, sich „ihr“
Land zurückzuholen, bestätigte in den Köpfen des Establishments das Bild
einer unheimlichen, schwarzen Macht, die aus dem Dunkel heraus nach
ihnen griff und drohte, ihrem Leben, so wie sie es kannten, ein Ende zu
bereiten. Man sollte sie zu diesem emotionalen Schockerlebnis
beglückwünschen – denn zum ersten Mal fühlten sie sich wahrlich so, wie
sich der durchschnittliche AfD-Wähler bereits seit Jahren gefühlt hat,
als Globalisierung und Masseneinwanderung ungeahnt über ihn
hereingebrochen sind.
Vor ihrer Beantwortung bedarf diese Frage zuerst einer Erklärung dahingehend, warum sie sich überhaupt stellt. Die vergangenen Jahre, vielleicht sogar die letzten zwei Jahrzehnte, stellen den Versuch eines gesellschaftsverändernden Projekts dar; ein Projekt, welches von den Eliten der Gesellschaft, also „von oben“, initiiert und durchgeboxt worden ist. Das Gegenteil davon verkörpert eine friedliche Revolution „von unten“ wie die in der DDR, welche zur Wiederherstellung der deutschen Einheit geführt hat. Während das Projekt der Wiedervereinigung auf der Vorstellung des Volkes beruhte, dass es da etwas gab, das die Deutschen über die Mauer hinweg verband und das es wert war, wieder zusammengebracht zu werden, so beruht das jüngere Projekt der Eliten auf der Vorstellung eben dieser, dass sich das Volk 1989 geirrt hat.
Revolution West von oben, Revolution Ost von unten
Der Startschuss fiel etwa mit Gerhard Schröders erster Initiative für die doppelte Staatsbürgerschaft. Seitdem hat sich das gesellschaftliche Establishment, welches überwiegend aus Westdeutschland stammt, darauf eingeschossen, dass die Deutschen im Grunde gar nichts zusammenhält. Weder sind sie ein Volk, denn „Volk“ klingt völkisch-biologistisch und erst recht sind sie keine Nation, denn dieser Gedankengang wäre nationalistisch. Auch für eine deutsche Kultur stehen die Chancen nicht gerade rosig, denn die Staatsministerin für Integration Özoguz hat behauptet, abseits der Sprache wäre keine deutsche Kultur zu identifizieren. Konsequent zu Ende gedacht mündet diese Behauptung im Gedankengang: Angenommen, sie wäre wahr, was würde die Anwesenden in Deutschland dann noch verbinden? Hochdotierte Akademiker in Kommissionen, Denkfabriken, Stiftungen und den Medien scheinen immer geradezu erleichtert zu sein, wenn sie darauf antworten können: Gar nichts – außer vielleicht der Wohlfahrtsstaat, der auf anonymisierte und sterile Art und Weise Geld zwischen Zahlern und Empfängern zirkulieren lässt.Soziales Kapital leichtfertig beschädigt
Wie so viele wirkmächtige Faktoren des Alltags macht sich das soziale Kapital aber erst dann so richtig bemerkbar, wenn es nicht mehr da ist, entweder in einem fremden Land oder in der eigenen Nachbarschaft. Seine Dezimierung, sei es durch seine schlichte Negierung, oder den vom Establishment gefeierten Zuzug von Millionen, die mit den Deutschen noch nicht einmal mehr die Sprache teilen, hat die deutsche Identität in die Identität von Gruppen zersplittert, zwischen denen kein Vertrauen in Gemeinsamkeiten mehr herrscht.Diese Gruppen grenzen sich nicht nur scharf in ihren Wertvorstellungen voneinander ab, sie sind auch, was ungleich problematischer ist, nicht mehr in der Lage und nicht mehr willens, über diese unterschiedlichen Wertvorstellungen hinweg miteinander zu kommunizieren oder gar zu kooperieren.