Was ist los an deutschen Universitäten? Als die Politikwissenschaftlerin Gisela Müller-Brandeck-Bocquet an der Universität Würzburg darum bat, diesen Ort als säkularen Freiraum zu akzeptieren und Kopfbedeckungen abzulegen, verweigerte dies eine moslemische Studentin, trotz persönlicher Aufforderung.
Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung los, erregte Studenten
zwangen die Professorin öffentlich zur Entschuldigung, gedeckt von einer
verschüchterten Universitätsleitung. Ein Vorfall, der in Variationen
längst universitärer Alltag ist.
Nichtigkeiten reichen aus
Vergangenes Jahr wollte der Berliner Geschichtsprofessor Jörg
Baberowski an der Universität Bremen ein Buch vorstellen. Der
Studentenausschuß beschimpfte ihn öffentlich, drohte mit Protesten.
Erfolgreich, der Veranstalter mußte umziehen. Baberowskis Buchtitel:
„Räume der Angst“.
Derweil drehen Studenten der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin frei,
da ein Liebesgedicht des Lyrikers Eugen Gomringer an der Fassade
angeblich eine „patriarchale Kunsttradition“ ausdrücke. Es erinnere
„unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt
sind“. Das Gedicht wird übermalt.
Nichtigkeiten reichen aus, daß eine Studentenschaft in Erregungsmodus
fällt, gegen mißliebige Dozenten vorgeht, Veranstaltungen sprengt,
Arbeitsräume verwüstet und es nicht nur bei verbaler Gewalt beläßt.
Toleriert, wenn nicht gar ermuntert, von einer Universitätsleitung, die
alles will, nur nicht sich selbst den Protesten aussetzen.
Wohl eher die Freiheit des Mobs
Nachdem der Kasseler Biologieprofessor Ulrich Kutschera in einem
Interview homosexuelle Partnerschaften als „sterile Erotik-Duos ohne
Reproduktionspotential“ bezeichnete, prüft die Universität ernsthaft
disziplinarrechtliche Schritte. Freiheit von Forschung und Lehre? Wohl
eher die Freiheit des Mobs, zu bestimmen, was gelehrt wird.
Wie ist das zu werten? Ist nun mit fünfzig Jahren Verspätung die
maoistische Kulturrevolution auch bei uns angekommen? Ernten die
Alt-68er jetzt mit ihrer Emeritierung die Früchte eines Marsches durch
die Institutionen? Um das zu klären, müssen wir in die Tiefen der
europäischen Aufklärung hinabsteigen.
Das mittelalterliche Weltbild war eine geschlossene Angelegenheit.
Christliche Klöster, als Horte der Gelehrsamkeit, verstanden sich
eigentlich nicht als Produktionsstätten neuen Wissens, sondern als
Pfleger und Bewahrer bereits vorhandenen, vermeintlich endlichen
Wissens. Die Lehrmeinung von Autoritäten wurde lediglich immer neu
kommentiert und interpretiert.
„Fromme Lügen“ waren sittliches Gebot
Im Übergang zur Neuzeit fand dann ein Paradigmenwechsel statt, für
den Nikolaus von Kues (1401–1464) gleichsam sinnbildlich als letzter
großer Kirchenlehrer wie zugleich erster Humanist steht. Mit seiner
Schrift „Über die belehrte Unwissenheit“ prägte er die Vorstellung eines
menschlichen Geistes, der sich durch Selbsttätigkeit immer neues Wissen
über eine sich ins Unendliche ausbreitende Welt aneignet. Das aber hat
zwei erhebliche Konsequenzen, die Nikolaus selbst auch gezogen hat.
Zum einen galt es in der mittelalterlichen Klosterwelt als
selbstverständlich, archiviertes Wissen eigenen Absichten anzupassen.
„Fromme Lügen“ waren unter der Bedingung eines geschlossenen Weltbildes
ganz einfach sittliches Gebot. Der Mönch, der die „Konstantinische
Schenkung“ in die Archive schmuggelte, war kein Betrüger, sondern er
korrigierte lediglich Fehler der Wirklichkeit.
Indem Nikolaus aber die äußere Gewißheit destruierte, brauchte er
eine innere Gewißheit. Eine Gewißheit, die er über seine persönlichen
Interessen stellte. So entlarvte Nikolaus als erster die
„Konstantinische Schenkung“ als Fälschung.
Hier protestieren keine Studenten, sondern Gläubige
Zum anderen benötigte Nikolaus dafür eine neue Methode, die sich
nicht auf die Autorität von Lehrmeinungen beruft, sondern bei der ein
selbsttätiges Denken Fakten überprüft und bewertet, die jederzeit von
anderen überprüft und bewertet werden können. Es ist diese Trias aus
Fortschritt, Wissenschaft und individuellem Denkvermögen, die an der
Krippe der europäischen Aufklärung steht. Habe den Mut, dich deines
eigenen Verstandes zu bedienen, wird später Immanuel Kant sagen. Ein
europäisches Projekt, das offenkundig zu Ende gegangen ist.
In Wirklichkeit sind es keine Studenten, die hier protestieren. Denn
Studenten haben Fragen. Das hier aber sind Gläubige. Nicht prinzipiell
anders als ein mittelalterlicher Klosterschüler schlucken sie
pseudoreligiöse Lehrmeinungen, bringen diese mit ihren pseudoreligiösen
Gefühlen in Einklang und wachen eifersüchtig darüber, daß niemand es
wagt, diese pseudoreligiösen Lehrmeinungen in Frage zu stellen, weil
dies notwendig eine Verletzung ihrer pseudoreligiösen Gefühle bedeutet.
So weit, so unspektakulär. Doch eines ist an Absonderlichkeit nicht zu
übertreffen.
Wenn ein geschlossenes Glaubenssystem mit den Werten der Aufklärung
im Krieg ist, so haben wir zwei klar erkennbare Kontrahenten, die sich
selbst auch als solche sehen. Wenn beispielsweise an einer Universität
der islamischen Welt säkular eingestellte Studenten mit ihren religiös
eifernden Kommilitonen im Clinch liegen, so ist den Beteiligten klar,
daß sie unterschiedliche Werte vertreten.
Aus zeternden Feministinnen werden über Nacht ebenso zeternde Verschleierte.
Hier liegt jedoch das absolute Kuriosum vor, daß sich die
pseudoreligiösen Jünger auf die Werte der Aufklärung berufen. Toleranz,
Meinungsfreiheit, Fortschritt – das Wutgeheul, mit dem Dozenten aus dem
Vorlesungssaal geprügelt werden, es verwendet genau diese Worte.
Was nur ist an dem Projekt der europäischen Aufklärung so furchtbar
schiefgelaufen, daß nun eine Karikatur ihrer selbst sich anschickt, die
Werte eben dieser Aufklärung gründlich abzuräumen? Eine
gesellschaftliche Entwicklung, deren Vorreiterrolle damals wie heute die
Universitäten übernehmen?
Nun, aus islamischer Sicht ist der Fall klar. Das Abendland sei an
seinen eigenen Widersprüchen zerbrochen und zugrunde gegangen. Es
erwarte jetzt die Erlösung aus dem einzig wahren Glauben. Nicht nur aus
demographischen Gründen reüssiert der Islam an deutschen Hochschulen,
aus zeternden Feministinnen werden über Nacht ebenso zeternde
Verschleierte.
Freier Geist auf freien Geist
Doch der Fall liegt anders. Der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt
(1767–1835) war zwar Kind der Aufklärung, kritisierte diese aber dafür,
das Wesentlichste übersehen zu haben. Denn Aufklärung ist nicht
Fortschritt, ist nicht entfesselte Vernunft allein, sondern sie ist vor
allem anderem Ausbildung von Individualität.
Anderes leitet sich hiervon erst ab, führt ohne diese ins Nichts.
Humboldts ganzes Reformprojekt ist hierauf abgestimmt. Von einfachen,
gleichförmigen Lagen sollte der einzelne in den Elementarschulen rasch
aufsteigen zur freien Selbsttätigkeit. In der Universität als krönendem
Schlußstein sollte dann nur noch freier Geist auf freien Geist wirken,
aus ihrer Polarität zur gegenseitigen Steigerung der Kräfte gelangen.
So wichtig war Humboldt die Freiheit des Geisteslebens, daß er die
Universität sogar mit eigenen Domänen ausstatten wollte, damit kein
äußerer Einfluß die Lehre bestimmen durfte. Diesen radikalen Schritt hat
niemand getan, weder die von Humboldt geprägte deutsche
Hochschullandschaft, noch die nach ihrem Vorbild organisierten
Universitäten Amerikas.
Wenn der Geist keine Wohnstatt findet, geht er eben woanders hin
Es wäre eine lohnenswerte Aufgabe bei letzteren zu zeigen, wie durch
finanzkräftige Stiftungen Gender Studies von außen in den Lehrplan
implementiert wurden. Eindeutig als politischer Auftrag wird diese
Pseudowissenschaft in Deutschland betrieben. Alleine das Zentrum für
Gender Studies der Universität Marburg darf sich nun über eine Million
Euro Steuergelder freuen, um zwei Jahre lang gegen Kritiker vorzugehen.
„Wir möchten Erkenntnisse darüber gewinnen, was genau am Wandel der
Geschlechterverhältnisse als krisenhaft empfunden wird, wie
anti-feministische Diskurse vor diesem Hintergrund mobilisierend wirken
und wie der gesellschaftliche Zusammenhalt wieder gestärkt werden kann“,
freut sich Projektleiterin Annette Henninger. Gläubige beim Gebet halt.
Es bleibt die Erkenntnis: Wenn der Geist keine Wohnstatt findet, geht
er eben woanders hin. Übrig bleibt dann etwas, das sinnvoll wohl nur
noch unter dem Gesichtspunkt klinischen Schwachsinns betrachtet werden
kann.