Die Diskrepanz zwischen Politik auf der einen, sowie Wählern und
Wirklichkeit auf der anderen Seite, war seit Gründung der Bundesrepublik
noch nie so groß. Tatsächlich ist es erst wenige Jahre her, dass man
eine solche Realitätsverleugnung und Wählerverachtung bei demokratisch
gewählten Politikern noch für undenkbar hielt. Der Glaube, dass
demokratische Wahlen vor allzu argem Machtmissbrauch schützten, weil die
Politiker ja wieder gewählt werden wollen, ist zum Teil noch so stark,
dass immer noch zu viele Menschen nicht glauben können, was sich
gegenwärtig vor ihren Augen abspielt. Sie können die Verachtung und
Ignoranz, die dem Souverän von den GroKo-Unterhändlern entgegengebracht
wird, nicht fassen bzw. wollen sie einfach nicht wahrhaben.
Abgesehen von den heuchlerischen Beteuerungen des SPD-Vorsitzenden
Schulz, weder in eine Regierung Merkel einzutreten, noch in einer
solchen ein Ministeramt anzustreben, hätten SPD und Union niemals
Koalitionsverhandlungen aufnehmen dürfen, wenn sie ernst nehmen würden,
was sie selbst als ihre Wahlziele verkündet hatten. In Fragen wie
Einwanderung, Familiennachzug und Gesundheitspolitik waren die
Positionen unvereinbar. Die CSU versicherte ihren Wählern, dass es eine
„Obergrenze“ für die Einwanderung geben würde, die CDU hatte immerhin im
Programm die Beteuerung, dass sich die Situation von 2015/2016 nicht
wiederholen würde. Man hätte aus den Fehlern gelernt. Außerdem wolle man
sich für einen wirksamen Schutz der EU-Grenzen einsetzen. Was die
Gesundheitspolitik betrifft, versprach die Union, eine Einheitskasse,
wie sie der SPD anstrebt, zu verhindern.
Schon das Sondierungsergebnis, in dem versucht wurde, die
unvereinbaren Positionen in einem Wortschwall zu verschleiern, war das
Papier nicht wert, auf das es gedruckt wurde. Beim Thema Familiennachzug
wurde das am deutlichsten. Während die CDU-Wähler mit einer „atmenden
Obergrenze“ ruhig gestellt werden sollten, wurden die SPD- Anhänger mit
dem Hinweis beschwichtigt, dass eine solche ja genau genommen nicht
festgelegt wurde, was der Wahrheit entsprach.
Trotzdem wurde auf dem Sonderparteitag der SPD nicht über das
Koalitionspapier abgestimmt, sondern über die Fiktion eines zukünftigen
Verhandlungsergebnisses. Nun soll innerhalb einer Woche die GroKo
stehen. Als erstes wurde gestern verkündet, dass der wichtigste
Streitpunkt, wie mit dem Familiennachzug für Migranten mit subsidiärem
Schutzstatus umgegangen werden soll, ausgeräumt wäre. Das geschah an
einem Tag, an dem in der Zeitung zu lesen war, dass der SPD-Vize von
Altenessen, diesen großen Essener Stadtteil als ein Gebiet benannte, in
dem das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Migranten scheitern
könnte. Wörtlich: „Die Schwelle, bis zu der man noch grundlegend etwas
bewirken konnte, scheint mir überschritten.“
(https://www.waz.de/staedte/essen/essens-spd-vize-warnt-vor-integrationsproblem-in-altenessen-id213237317.html)
(https://www.waz.de/staedte/essen/essens-spd-vize-warnt-vor-integrationsproblem-in-altenessen-id213237317.html)
Essen ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom für die Zustände im
Ruhrgebiet. In andern Teilen des Landes sieht es auch nicht
hoffnungsvoller aus. Die GroKo ist also entschlossen, in ein Land, das
die Probleme der bisherigen Einwanderung nicht gelöst hat, in dem die
Einwanderung zu einer gefährlichen Auflösung des Rechtsstaates und damit
zur Destabilisierung aller staatlichen Strukturen geführt hat, weitere
Einwanderungsströme zu leiten. Mit Verantwortung gegenüber den Wählern
hat das nichts zu tun. Immerhin ist die Realitätsleugnung bei den
Verhandlern noch nicht so weit fortgeschritten, dass sie meinen, ihre
Volten würden von der Bevölkerung nicht bemerkt.
Deshalb gab es kurz nach Verkündigung des „Koalitions-Kompromisses“
schon unterschiedliche öffentliche Interpretationen. Während die CSU
ihren Wählern weis zu machen versuchte, sie hätte für den „Beginn einer
geordneten Einwanderung“ gesorgt, die nicht die „Aufnahmefähigkeit der
Gesellschaft“ überfordern würde, trötete SPD-Vize Stegner, dass
„nachverhandelt“ werden müsse, um die „Härtefallregelung“ zu
konkretisieren.
Dass es den zukünftigen Koalitionären nicht mal am Tag der
Bekanntgabe des angeblichen Kompromisses gelang, mit einer Stimme zu
sprechen, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die ganzen
„Verhandlungen“. Es geht in der Koalitionskungelei nicht um
Politikrichtlinien, sondern nur um die Frage, wie Merkel an der Macht
bleiben und welche Posten man im künftigen Kabinett ergattern kann.
Weil es selbst der schafsgeduldigen SPD auf die Nerven geht, dass ihr Vorsitzender beinahe im Tagesrhythmus neue Umfallermeldungen verbreitet, sollen die Parteimitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen, ohne wissen zu dürfen, wie die Personalpolitik dahinter aussieht. Die spannende Frage ist, ob sie sich das wirklich gefallen lassen und sich zum Stimmvieh für die Ambitionen ihres Vorsitzenden degradieren lassen. Die jüngsten katastrophalen Umfragewerte der einstigen Volkspartei zeigen jedenfalls, dass sich die Wähler nicht mehr so leicht hinter die Fichte führen lassen.
Für die CSU wird die GroKo zum Vabanquespiel.
Die Verhandlungen entlarven, dass zwar ein gewisser Personal- nicht aber ein Politikwechsel in der Partei stattgefunden hat. Die jungen „Hoffnungsträger“ versuchen, ihre Anhänger nicht merken zu lassen, dass sie sich einer Fortsetzung der ungebremsten Einwanderungspolitik keineswegs in den Weg stellen wollen.
Diese Rechnung dürfte nicht aufgehen. Mit jedem Tag werden die Folgen der ungelösten Probleme im Alltag spürbarer. Mit jedem Tag wird der Widerstand gegen Politiker, die partout ihren eigentlichen Auftrag nicht mehr wahrnehmen wollen, größer. Im Grunde ist es ein Wettlauf mit der Zeit. Gelingt es den Politikern, das Land endgültig zu destabilisieren, oder wachen genügend Bürger rechtzeitig genug auf, um das noch zu verhindern?
In kürzerer Zeit als angenommen, werden wir es wissen.