Mittwoch, 23. Mai 2018

Diskriminierung des Schlechteren ist nichts Schlechtes, sondern etwas Gutes

https://juergenfritz.com/2018/05/22/diskriminierung-des-schlechteren/










Ein Gastbeitrag von Naomi Seibt
Jede Entscheidung basiert auf einer Bevorzugung. Wer A vorzieht, hat eine geringere Wertschätzung für B und C. Doch die westliche Welt, ganz besonders die neuen Linken neigen zu einer undifferenzierten Hypersensibilität gegenüber jeder Wertschätzung des Eigenen, ja entwickeln regelrecht eine Paranoia vor der Ausgrenzung fremder Kulturen, was nicht nur irrational ist, wie Naomi Seibt aufzeigt, sondern auch schädlich.

Die Bevorzugung von A beinhaltet stets die geringere Wertschätzung von B und C

Angesichts einer regelrechten Inflation von Verunglimpfungen wie „Rassist“„Nazi“„islamophober Hetzer“ oder ähnlichem ist es inzwischen offensichtlich, dass das Thema Identitätin Bezug auf Herkunft und Kultur sowie Diskriminierung aufgrund dieser Merkmale innerhalb der letzten Jahre eine außerordentliche Brisanz erhalten hat. Ein großer Teil der westlichen Gesellschaft, gerade in der politisch „linken“ Sphäre, zeichnet sich durch eine undifferenzierte Hypersensibilität gegenüber jeglicher Eigenkulturwertschätzung aus. So wird inzwischen sogar Patriotismus auf Basis der gemeinsamen Achtung der Kulturwerte, die die Säulen einer Gesellschaft bilden, als exzessiver Nationalismus beanstandet. Diese Paranoia vor der Ausgrenzung fremder Kulturwerte ist nicht bloß irrational, sondern schädlich.
Die Bevorzugung moralischer Maximen einer liberalen Gesellschaft impliziert die vergleichsweise geringere Schätzung fremder Werte. Entscheiden wir uns aber aus Angst vor Diskriminierung dazu, die Existenz einer besseren Kultur zu leugnen, so drohen der Liberalismus und die Souveränität des Individuums zu verkommen. Appeasement selbst illiberalen Kulturen gegenüber, mit der Begründung, alle Kulturen seien im Grunde gleichwertig und bloß unsere subjektive Perspektive determiniere ihren Status, gefährdet somit den Erhalt des von Aufklärung geprägten Liberalismus.

Diskriminierung des Schlechteren ist nichts Schlechtes, sondern etwas Gutes

Wollen wir diese zivilisatorischen Errungenschaften verteidigen, dürfen wir uns nicht vor der tragischen Realität verstecken, dass in einigen Fremdkulturen verachtenswerte Wertvorstellungen intrinsisch verankert vorliegen. Nur indem wir moralische Fehler fremder Kulturen als solche identifizieren, können wir ihre Entwicklung und Implikationen logisch nachvollziehen und die positive Lehre, die sich uns aus dieser Analyse offenbart, auf unsere eigene Kultur anwenden. Kulturwertschätzung zieht ein gewisses Maß an Diskriminierung nach sich, weil die Realität des Besseren nicht ohne die Möglichkeit des Schlechteren einhergeht.
Es ist ein fataler Irrglaube, dass wir Präferenzen ausschließlich mit der bloßen Motivation entwickeln würden, Abweichendes diskriminieren zu wollen. Vielmehr kann und soll die Motivation sein, das Potential des Besseren erfassen und uns zum Ziel unseres Strebens setzen zu wollen.

Für den Kollektivisten ist jedes Individuum primär Teil eines Kollektivs, das daher nicht kritisiert werden darf

Um zu verstehen, weshalb gerade viele Anhänger politisch „linker“ Gesellschaftsvorstellungen Wertehierarchien so verabscheuen, ist es wichtig, ihre fundamental kollektivistische Weltanschauung in das Blickfeld zu ziehen: Die politisch linksmotivierte Verfechtung einer starken Regierung, zur Umsetzung der weitgehend vage definierten „sozialen Gerechtigkeit“, erfordert einen kollektivistischen Gedankenansatz: Das Wohl der Gesellschaft steht über der Freiheit und Souveränität des Individuums.
Aus der Perspektive dieses kollektivistischen Ethos fällt es leicht, der Diskriminierung aufgrund von gesellschaftlichen Werten eine „persönlich verletzende“ Bedeutung beizumessen. Der Kollektivist betrachtet jedes Individuum im Rahmen kollektivistischer Merkmale. Die Geringschätzung eines solchen Merkmals wertet er daher als einen persönlichen Angriff. Der Individualist hingegen ist dazu in der Lage, zwischen seiner hierarchischen Ordnung von Kulturwerten und seinen Interaktionen mit Individuen zu unterscheiden. Er lässt sich nicht auf das kollektivistische Schubladendenken ein. Trotz seiner möglicherweise ablehnenden Haltung gegenüber einer Ideologie kann er individuellen Anhängern dieser Ideologie mit einer neutralen Voreinstellung begegnen und sogar eine respektvolle Beziehung zu ihnen aufbauen. Nur so eröffnet sich überhaupt erst die Möglichkeit des politischen Diskurses.

Für den Individualisten ist jeder Mensch durch Multidimensionalität gekennzeichnet, so dass Kritik am Kollektiv ihn viel weniger trifft

Ironischerweise liegt doch das Wesen der Identitätsdiskriminierung im Kollektivismus begründet, nämlich in der Überhöhung von oberflächlicher Identität: Die Reduktion des Individuums auf seine Hautfarbe oder Herkunft widerspricht dem individualistischen Ansatz im Umgang mit anderen Personen, welcher im Gegensatz zum Kollektivismus die Multidimensionalität des menschlichen Wesens respektiert. Es ist wahr, dass Kulturaspekte wie Religion – anders als Hautfarbe und geographische Herkunft – die Persönlichkeit und Moralvorstellungen des Einzelnen beeinflussen und auch der Individualist aus diesem Grund die Entscheidung treffen mag, sein Gegenüber nicht in seinen Freundeskreis zu integrieren. Dann geschieht dies aber nicht aufgrund von kollektivistischer Identitätsdiskriminierung, sondern als Konsequenz der Abwägung individueller Charaktereigenschaften.
Der Trugschluss des Kollektivisten besteht also darin, dass er so selbstverständlich in seinem kollektivistischen Weltbild verharrt, dass er es auf jeden projiziert, der sich offen der Kategorisierung und Wertunterscheidung bedient, um seine eigenen Moralvorstellungen zu entwickeln. Die Differenzierung des Individualisten nimmt der Kollektivist dabei als unfaire Diskriminierung wahr. In Wahrheit kann aber selbst er sich der Nutzung von Wertehierarchien nicht entziehen, denn auch er agiert mit der Welt stets hinsichtlich seiner Präferenzen. Jede Entscheidung impliziert den Ausschluss einer Alternative. Der konsequente Kollektivist hat keinerlei Vertrauen in die individuelle Urteilsfähigkeit des Menschen, könnte dementsprechend aber auch nie auch nur eine persönliche Entscheidung treffen.

Liberalismus bedeutet nicht, Ideologien, Moralvorstellungen und Kulturen gar nicht oder alle als gleich gut zu bewerten

Der liberale Mensch nutzt den Diskurs, um sich stets selbst weiterzuentwickeln und möglicherweise bestehende Vorurteile abzulegen, anstatt sich an einem Weltbild festzuklammern. Religion, Vereinsangehörigkeit und Kultur seines Gesprächspartners spielen für ihn dabei keine Rolle, sondern von primärer Bedeutung ist für ihn, wie tolerant sich sein Gegenüber in der direkten Beziehung zu ihm und Anderen verhält. Interaktionen auf individueller Basis sollten idealerweise geprägt sein von Offenheit und Toleranz. Dennoch darf und sollte aus dem globalen Blickwinkel eine Wertunterscheidung zwischen Ideologien, Moralvorstellungen oder Kultureigenschaften vorgenommen werden, denn nur so kann uns die individuelle Toleranz als Teil unserer liberalen Kultur erhalten bleiben.
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Zur Autorin: Naomi Seibt ist die jüngste Gastautorin auf Jürgen Fritz Blog. Sie ist 17 Jahre alt. Letztes Jahr machte sie ihr Abi mit damals noch 16 Jahren (früh eingeschult und eine Klasse übersprungen). Naomi ist die Tochter der bekannten Rechtsanwältin und Bloggerin Karoline Seibt.