Montag, 15. März 2021

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Auf zum letzten Gefecht

AutorVon veralengsfeldkultur
Beitragsdatum14. März 2021
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Nachdem der reale Sozialismus 1989/90 so schmachvoll gescheitert ist, war dies nicht das Ende der sozialistischen Idee. Dreißig Jahre später stellt sich heraus, dass es die Renaissance dieser Ideologie begünstigt, dass die verheerenden Folgen kaum noch zu besichtigen sind. Nordkorea ist hermetisch von der Welt abgeschlossen und interessiert nur, wenn es mit seinem Atomwaffenprogramm droht. Auf Kuba liegt über dem Zerfall eine Sonne- und Meer-Romantik. Touristen bewegen sich fast ausschließlich auf von den für sie eingerichteten touristischen Pfaden, an denen in Havanna die von der UNESCO geretteten Kolonialbauten zu sehen sind. In Varadero sind die Strände mit Stacheldraht geschützt, die indigene Kubaner draußen halten. Bestens versorgt mit allem, was das Herz begehrt, können die Besucher wie George Bernhard Shaw einst in Stalins Moskau sagen, dass sie auf Kuba gut gespeist und vom Hunger nichts bemerkt hätten.

Was die sozialistische / kommunistische Ideologie so faszinierend machte, untersucht Thomas Naumann in seinem Buch „Das letzte Gefecht“ anhand der Dramatiker Bertold Brecht und Friedrich Wolf. Beide sind einflussreiche Verfechter der kommunistischen Doktrin, beide hatten Schwierigkeiten, die kommunistischen Verbrechen anzuerkennen, als sie davon erfuhren.

Brecht, der gefeierte Dichter der kommunistischen Sache war so erfolgreich, weil er die Heilserwartung des Kommunismus mit der frühen Heilserwartung der Bibel verband. Auf die Frage nach seinem Lieblingsbuch nannte Brecht nicht etwa das Kommunistische Manifest, sondern die Bibel. Bezüge auf die Bibel durchziehen sein gesamtes Werk, von den frühesten bis zu den letzten Veröffentlichungen. An zahllosen Beispielen zeigt Naumann, wo in seinen Stücken und Gedichten Brecht Zitate aus der Bibel verwendet oder als Vorlage benutzt. Für Naumann ergibt sich daraus die Frage, ob die Bibel von Brecht Besitz ergriffen hätte, oder er von ihr. Auf jeden Fall schlachtet er sie weidlich aus.

Uns interessieren in diesem Zusammenhang besonders die Stücke und Gedichte, in denen Brecht dem Kommunismus huldigt. Da ist „Die Maßnahme“ von 1930 zu nennen, ein Stück, das der Autor später selbst zurückgezogen hat. Darin geht es um einen jungen Genossen, der durch spontanes menschliches Mitleid beinahe eine Aktion der Kommunistischen Partei verraten hätte. Er wird von der Partei zum Tode verurteilt, womit er einverstanden ist, denn er erkennt in seinem Tod eine Notwendigkeit für den Sieg der Revolution.

Brecht gestaltet hier eine problematische Parallele zwischen der Unterwerfung unter den Willen der Partei und der von Jesus und seine Jüngern unter den Willen Gottes. Die Schwester Hanns Eislers, der die Musik zu diesem Stück komponiert hat, sieht in der „Maßnahme“ eine Vorwegnahme der Moskauer Prozesse. Die Schuld am Tod des mitleidigen Genossen wird an die „Dritte Sache“ delegiert, den höheren Zweck zum Wohle der Partei: „Der Einzelne kann vernichtet werden, aber die Partei kann nicht vernichtet werden…“

Brechts Glaube an die Kommunistische Sache ist so stark, dass sie später kaum erschüttert wird, als er von Stalins Verbrechen erfährt. Zwar nennt er Stalin irgendwann den „Verdienten Mörder des Volkes“, aber seien Lobgesänge auf den Kommunismus und die Partei bleiben bestehen.

Für die Schauspielerin Carola Neher, die in die Stalinsche Knochenmühle gerät und darin umkommt, rührt Brecht keinen Finger.

Auch für den Dramatiker Friedrich Wolf, der neben Brecht zu den wichtigsten Dramatikern des 20. Jahrhunderts gehört, ist die kommunistische Sache und die Schaffung des „neuen Menschen“ eine Herzensangelegenheit. Die Idee der Erschaffung eines neuen Menschen hat im Christum eine lange Tradition. Sie wurde von der Moderne aufgegriffen und zum Kern der aufklärerischen und sozialen Bewegungen seit der Französischen Revolution. Naumann arbeitet heraus, dass sowohl Kommunismus als auch Nationalsozialismus sich dieser Schaffung des neuen Menschen verschrieben haben. Die Übernahme christlicher durch kommunistische und nationalsozialistische Utopien hat die Extreme des 20. Jahrhunderts geprägt und in die Katastrophe geführt.

Wolf hat wie Brecht der kommunistischen Sache gedient, sogar als Parteimitglied. Während Brecht sein Anliegen mit kühler Analyse beförderte, aktivierte Wolf die Gefühle der Zuschauer.

Als Arzt und Dramatiker betrachtete er die „Bühne als Heilfaktor“. Wolf betreib seine Sozialkritik nicht theoretisch und intellektuell, sondern getrieben von seinen Idealen. Sein Reich war, wie das von Jesus, „nicht von dieser Welt“. Wolf sucht den neuen Menschen zunächst in der Lebensreformbewegung. In seinem Buch „Die Natur als Arzt und Helfer“ propagiert er die Nacktheit als Lebensform des neuen Menschen: „Ihr wisst es bloß nicht, wie viel Ballast ihr mit euch herumschleppt…ihr euer schönes, nacktes Leben selbst verschandelt…Reduktion, Vereinfachung! Und Zeit, nur Zeit! Und Ruhe!“ Das ist heute kompatibel mit dem Programm der Grünen und der Agenda 2030 des Weltwirtschaftsforums.

Im Exil in der Sowjetunion erlebt Wolf die Verhaftungen seiner Genossen mit, er will nicht warten, bis er selbst abgeholt wird und bittet darum, als Arzt am Spanischen Bürgerkrieg teilnehmen zu können. So entzieht er sich den Säuberungen von 1938. Für seine ehemalige Geliebte Lotte Rays und die gemeinsame Tochter Lena rührt er, ähnlich wie Brecht für Neher, keinen Finger. Seine Söhne Konrad und Markus lässt er in Moskau zurück.

Markus, der spätere Chef des Auslandsgeheimdienstes der DDR soll als 13-jähriger einen Zusammenbruch erlitten haben, bei dem Gedanken, dass auch sein Vater verhaftet worden wäre, wenn er sich nicht ins Ausland abgesetzt hätte. Das hat Markus Wolf nicht davon abgebracht, der Partei stets treu zu Diensten gewesen zu sein. Er zitiert in seinen Memoiren Brecht;

„Welche Niedertracht begingst du nicht, um die Niedrigkeit auszutilgen…Versinke im Schmutz, umarme den Schlächter, aber ändere die Welt, sie braucht es!“

Naumann weist darauf hin, dass dies ein gefährliches Element der kommunistischen Ideologie ist:

Das Endziel der Befreiung der Menschheit heiligt jedes Mittel. Aus diesem Geist heraus gründete die sowjetische Tscheka ihre ersten Konzentrationslager. Sie dienten u.a. dazu, die revolutionären Matrosen aus Kronstadt zu liquidieren. Das KZ ist keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern eine Kopie des sowjetischen Vorbilds.

„Von den hundert Millionen Einwohnern Russlands unter den Sowjets müssen wir neunzig davon für uns gewinnen. Was den Rest betrifft…sie müssen ausgerottet werden, sagte Grigori Sinowjew 1918 als Präsident des Petrograder Sowjets. Später gehörte er selbst zu den Ausgerotteten.

Die Egalité der Französischen Revolution endete als Gleichheit unter der Guillotine. Der Kampf um die Schaffung des neuen Menschen führte nicht zu immer glücklicheren Ufern, sondern in die Hölle.

„Getrieben von der messianischen Idee, der Menschheit das Heil zu bringen“ war das 20. Jahrhundert „ein Rückfall in die Barbarei“.

Hat die Menschheit daraus gelernt?  Nicht wirklich. Statt sich von Ideologien abzuwenden, hat der Westen neue kollektive und individuelle Glaubenssätze geschaffen. Dazu gehören Selbstoptimierung und politische Correctness als neue Moral.

Wie im Mittelalter gewinnt die Moral den Vorrang über den Verstand. „Sie gibt Antworten, wo zu fragen ist. Sie liefert Gewissheiten, wo zu zweifeln ist. Ethik der Gesinnung steht vor Ethik der Verantwortung. „Mit der Keule der Moral kann man jeden Gegner erlegen…Rechthaberei, Intoleranz und Arroganz nehmen zu. Politische Gegner werden ausgegrenzt, diffamiert und in die rechte Ecke gestellt. Der neue Mensch gendert, pflegt Diversität und korrekte Sprache, ist Aktivist, rettet die Umwelt und Flüchtlinge…, cancelt Andersdenkende, kauft Bio und isst vegan. Vor dem Geschlechtsakt klärt er die Rechtslage. Nur: Sprachvorschriften sind Teil von Diktaturen, Speise- und Sexualvorschriften sind Teil von Religionen…Nicht mehr alle Menschen werden Brüder. Der Platz des Klassenfeindes wird dem alten weißen Mann zugewiesen…Aus einer Gemeinschaft Freier und Gleicher wird ein Kampf der Guten gegen die Bösen“.

In diesem Kampf sind wieder fast alle Mittel recht. Heute ist nicht mehr die Religion das Opium des Volkes (besser: der Eliten), sondern das Gift des Moralins.

Aber nach den Schrecken des 20. Jahrhunderts sollte niemand dem Glauben folgen, sondern sich, wie es Kant schon forderte, sich des eigenen Verstandes bedienen.

Thomas Naumann: „Auf zum letzten Gefecht“: https://www.kulturhaus-loschwitz.de/