Donnerstag, 8. September 2016

Anleitung zum Herrschen

Gustave Le Bons »Psychologie der Massen« ist aktueller denn je. Die Massen sollen (und wollen!) geführt, gesteuert und gelenkt werden. Schließlich will der Geldadel bei seiner Besitzstandswahrung und Profitvermehrung nicht gestört werden. Auch Unternehmen haben ein Interesse am Betriebsfrieden. Lohnarbeiter sollen funktionieren, nur reden, wenn sie gefragt werden und nicht aufmucken. Um all das zu erreichen, gibt es mittlerweile eine ganze Fülle an Methoden und subversiven Mechanismen. Heute stelle ich zehn beliebte und aktuelle (Um-)Erziehungsmaßnahmen vor.


  1. Mache den Leuten Angst! Wer in ständiger Furcht lebt, unsicher und gehemmt in seinem Handeln ist, der hat auch wenig Mut, seinem Chef die Meinung zu sagen, auf die Straße zu gehen oder zu protestieren. Fatalismus, Ohnmacht und Resignation machen sich breit. Gleichzeitig hat es den hübschen Nebeneffekt, dass eingeschüchterte Menschen generell mehr konsumieren (Frustessen, Sicherheits-Produkte, Vorräte, Versicherungen etc.),  als eher ausgeglichene und sorglose Zeitgenossen.
  2. Fülle ihre Köpfe mit Nichtigkeiten! Damit Niemand auf die Idee kommt, über essentielle Sachverhalte, wie Krieg und Frieden, Reichtum und Armut sowie Freiheit und Zwang nachzudenken, müssen banale Themen zu gesellschaftlich relevanten Diskursen aufgeblasen werden. Hierzu zählen Promi-News, Boulevard-Themen, Sport-Events (EM, WM, Olympia etc.), TV-Sendungen, Wer, Wie, Wo, Wann, Was gesagt haben soll (oder auch nicht) sowie viel Alltags-Gedöns abseits von kritischer Berichterstattung.
  3. Teile und Herrsche! Spalte die Menschen in viele unterschiedliche Gruppen und hetze sie gegeneinander auf (Raucher gegen Nichtraucher, Frauen gegen Männer, Gesunde gegen Alte, Eltern gegen Erzieher, Vegetarier gegen Fleischesser, Deutsche gegen Ausländer etc. — und umgekehrt!). Eröffne gleichzeitig viele Nebenkriegsschauplätze (beispielsweise »Gender Pay Gap« statt Managergehälter), werfe Nebelkerzen und entsolidarisiere, isoliere und atomisiere die Menschen. Dadurch sind sie alle so sehr mit sich selbst und ihren Nachbarn beschäftigt, so dass der Geldadel in Ruhe die Menschen weiter ausbeuten und seine Pfründe genießen kann.
  4. Bespaße Deine Untertanen! Zwar gibt es heute keine Gladiatoren-Arena-Kämpfe mehr, dafür aber Gewinn-Shows, Casting-Sendungen, Videospiele, Konzerte, Filme, Musik-Wettbewerbe, vermeintlich lustige Internet-Videos, Mobile-Spielchen, Fussball-Events und vieles vieles mehr. Wer stets in der Unterhaltungsblase lebt, entwickelt auch keine Wut auf die herrschenden Verhältnisse.
  5. Lasse Ihnen keine Zeit zum Nachdenken! Sie müssen stets berieselt werden, ständig beschäftigt sowie Opfer und Getriebene von Strukturzwängen sein. Wer von morgens bis abends schuftet, Kinder, Haushalt, Familie und Hobbys vereinbaren will, wird keine Zeit zum Nachdenken haben. Und das ist auch gut so!

    »Die Verbrechen der Massen sind in der Regel die Folge einer starken Suggestion, und die einzelnen, die daran teilnahmen, sind hinterher davon überzeugt, einer Pflicht gehorcht zu haben.«
    Gustave le Bon. »Psychologie der Massen«. Nikol Verlag. Hamburg 2009. S. 150
  6. Forme die Sprache nach Deinen Interessen um! Betreibe semantische Enteignung. Bullshit-Bingo, (Halb-)Lügen, Werbesprache, Versprechungen, Verzerrungen, Begriffe besetzen, Euphemismen, Oxymorone, Zwiesprech, Neusprech, Plastik-und-Lego-Wörter, Emotionalisierungen, Gummibegriffe, Wortverdrehungen und so weiter. Bediene Dich sämtlicher Methoden, um die Sprache nach Deinen Bedürfnissen anzupassen. Denn sobald die Untertanen die Sprache der Herrschenden verinnerlicht haben, verfolgen sie auch deren Interessen.
  7. Halte die Menschen dumm! Gibt es zu viele Menschen, die politische Sachverhalte, wirtschaftliche Methoden, Manipulations-Verfahren und Herrschafts-Mechanismen verstehen, ist deine Macht bedroht. Insofern wird die Masse nur zum konsumieren und lohnarbeiten gebraucht.
  8. Verunglimpfe alle Alternativen! Jede Sichtweise, Perspektive und Analyse, jenseits des von Politik, Medien und Wirtschaft öffentlich Gesagten, sollte diskreditiert werden als: Verschwörungstheorie, Antiamerikanismus, Populismus, Antisemitismus, Spinnerei, Übertreibung, Extremismus, Hassbeitrag und so weiter. So kann gewährleistet werden, dass die Hofberichterstattung bei den Bürgern als die absolute Wahrheit verinnerlicht wird.
  9. Bringe sie dazu, ihre Sklaverei zu lieben! Wer glaubt, in Freiheit und Autonomie zu leben, hat keinen Grund zu protestieren. Verkaufe den Zwang zur Lohnarbeit als »Selbstverwirklichung«, den Abbau von Bürgerrechten, verfassungswidrige Gesetze, übertriebene Polizeimaßnahmen, die Ausweitung der Überwachung, Waffenexporte in Diktaturen, rechtsfreie Geheimdienste und so weiter, als Freiheit und Demokratie sowie Angriffskriege als »humanitäre Intervention«.
  10. Kaufe, erpresse oder bedrohe die Opposition! Sollte es dennoch zu ernsthaften Gegnern kommen, welche die Besitzstandswahrung und –Vermehrung gefährden könnten, so kaufe, erpresse oder bedrohe sie. In der Reihenfolge. Die SPD sowie der DGB sind ein gutes Beispiel, wie man hier vorgehen sollte. Oft genügt bereits der Wink mit dem Geldschein.
Welche Methoden zur Kontrolle der Massen heute außerdem sehr effektiv sind, erklärt wunderbar der Psychologe Rainer Mausfeld:
Alle diese Methoden zur Kontrolle und Steuerung der Massen sind ein Zusammenspiel und eine Gemengelage von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Es ist unwahrscheinlich, dass dahinter ein Mastermind steckt. Dennoch haben Abgeordnete und Vermögende oft die gleichen Ziele: die Konsumenten sollen ruhig gehalten werden, jedoch zugleich im Sinne von Unternehmen und Gross-Kapital funktionieren: als Steuerzahler, Konsument und Lohnarbeiter.
Die Unterwanderung der Opposition sowie die Einschüchterung des Widerstandes sind in einer Mediendemokratie nicht mehr zwingend erforderlich. Zwar gibt es hin und wieder auch einen Agent Provocateur bei großen Demonstrationen (wie beispielsweise beim G-8 Protest in Heiligendamm 2007) oder auch verdeckte Ermittler in linken Kreisen, aber die Massenmedien und der Lohnarbeits-Zwang halten die Bevölkerung in aller Regel sehr viel effektiver bei »Laune«.