Sonntag, 29. April 2018

Wie Politik das Land spaltet - Woche der Spaltung

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Immer unangenehmer zeigen sich jetzt die Politisierung und die Folgen der unausgesprochenen „Identitätspolitik“: Das Land zerlegt sich in seine Teile und fordert ständig Glaubensbekenntnisse ein, neuerdings sogar im Fußballstadion. Die Politik zelebriert die Spaltung.


Eigentlich kann ich mich nicht erinnern, dass ich früher jemals gefragt wurde: „Bist Du Deutscher?“ Ja, mein Name ist nicht urdeutsch, irgendwann hat es einen böhmischen Kesselflicker nach Oberbayern verschlagen, wo sie für die Schmelzöfen und kleine Hüttenwerke Männer suchten, die zupacken und das Metall fühlen konnten. Und irgendwann wurde eine überzählige Bauerntochter gefreit, später der Sohn oder Enkel daraus heiratete die Tochter eines Müllermeisters, der die Steiermark bei der Austreibung der Protestanten verlassen hatte und in Niederbayern nicht einheiraten durfte, aber dafür im Oberbayerischen, wo sie die Mutter Gottes so inbrünstig verehren, aber ansonsten eher den Herrgott einen guten Mann sein lassen.

Wir sind doch jetzt alle bunt

Dass ich das erzählen muss, ist mir peinlich. Es geht Sie, lieber Leser, eigentlich nichts an. Gar nichts. Es könnte sogar gut erfunden sein, und auch dann geht es Sie nichts an. Es ist Privat. Aber das Private wird immer politischer. Immer neue Glaubensbekenntnisse werden eingefordert, immer und überall. So werde ich immer gefragt, ob ich Deutscher bin. Es ist eine harmlose Frage, die man mir ungefähr 60 Jahre nicht gestellt hat. Warum jetzt? Wo wir doch alle bunt sind, warum gerade nun? Wie zum Trotz rücken die enger zusammen, die es gar nicht mehr geben soll, darf, die Deutschen. Eine Gesellschaft separiert sich.

 Weil bei allem Integrationsgetue, bei jeder Frage, was jetzt alles zu Deutschland gehört, immer das Gegenteil mitschwingt: Gehört es, oder der oder die wirklich dazu? Und was kriege ich, wenn ich mit Einem/Einer von den Anderen ein Techtelmechtel anfange? In den Schulen wird genau unterschieden. Längst bilden sich ethnisch definierte Gruppen. Die Klassengemeinschaft löst sich auf. Ob es uns gefällt oder nicht. Natürlich ist die Frage offiziell unerlaubt ob „deutsch“ oder nicht; die Bundeskanzlerin unterscheidet ja nicht einmal mehr zwischen denen, die schon länger hier sind und denen, die gerade kürzlich vorbeigeschaut haben. Alles eins! Alles ununterscheidbar! Und gleichzeitig allerdings grenzen sich die Bestandteile gerade voneinander ab. Das Kopftuch ist ja kein Sonnenschutz, wie es früher einmal für Frauen bei der Feldarbeit war oder gegen den Staub am Heuboden und beim Getreidedreschen. Es ist neuerdings ein klares Differenzierungsmerkmal. Es ist ein Signal der Trennung und „rühr mich nicht an“. Parallelgesellschaften bilden sich. Seht an, ich bin anders, aber natürlich gehöre ich doch dazu, zumindest, wenn es das Recht auf Inanspruchnahme staatlicher und sonstiger Leistungen ist.
Lange hat man ein Kreuz um den Hals getragen und es hatte die Funktion, die Blicke auf das Holz vor der Hütten zu lenken. Heute wird es als Signal getragen: ich bin mutig, mutiger als meine Bischöfe, die sich ja gar nicht mehr trauen, zu ihrer Religion zu stehen, allerdings die Vorzüge ihrer staatlichen Besoldung und der Kirchensteuererhebung durchaus zu schätzen wissen.

Die Woche der Politik und das Fußballspiel

Dagegen hat diese Woche der neugebackene bayerische Ministerpräsident Markus Söder demonstrativ das Kreuz hingehalten wie ganz früher der Pfarrer bei der Teufelsaustreibung. Was für ein Signal! Lange ging man achtlos an Kreuzen in der Eingangshalle des Finanzamts vorbei. Diese Woche ist es ein Aufreger. Wolfgang Herles hat sehr schön beschrieben, wie die Hervorhebung eines Glaubensbekenntnisses durch sein neuerdings anerkanntes Hier-Sein alle anderen auch auf den Plan rufen muss und die Atheisten auch: „Jetzt haben wir dem Islam also auch noch zu verdanken, dass wir Glaubensbekenntnisse abzuliefern haben. Nur eben die richtigen. Auf diese Weise werden Zwangskruzifixe auf verquere Art zu einer Art Unterwerfungsgeste.“ 


Leben und leben lassen, und jeder soll auf seine Weise beten oder es auch bleiben lassen – dieser gewaltige kulturelle Fortschritt wird gerade 200 Jahre zurückgedreht. Der Wahnsinn geht bis ins Fußballstadion. Der Frankfurter FC, keine Leuchte am Firmament des Ballsports, will keine AfD-Anhänger mehr im Stadion zulassen. Hat man schon mal Blöderes gehört? Früher hat man sich auf den billigen Plätzen verbrüdert, umarmt, miteinander geschrien und gesoffen und darüber vergessen, dass es auch Trennendes gab. Jetzt wird sogar ein Vergnügen politisiert, rein gehalten und andere werden ausgegrenzt. Zurück zu der Zeit, in der die einen beim katholischen Burschenverein organisiert waren und die Anderen bei den Naturfreunden (SPD) oder bei den Falken (KPD). Die Weimarer Republik ist darüber kaputt gegangen, über dieser Eingrenzung, die eine Ausgrenzung nach sich zieht. Nun könnte man das abtun, dass halt Fußballpräsidenten, auch wenn sie nicht auf dem Rasen stehen, doch gelegentlich einen zu harten Kopfball abkriegen in ihren fetten Vorstandsbüros.

Welche Schande für das Land

Aber das ist auch im Bundestag der Fall. Der wachsende Antisemitismus, die Angriffe auf Juden waren das Thema. Aber man muss sich die geistigen Ergüsse von Linken-Chef Dietmar Bartsch und Kathrin Göhring-Eckardt anhören. Nicht um Juden ging es ihnen und darum, wie bedrückend es ist, dass das Tragen der Kippa wieder gefährlich geworden ist, weil dieses Glaubensbekenntnis von vielen, die erst kurz da sind, zu wahnsinnigen Hassausbrüchen führt: Es wurde auf eine Partei eingedroschen, die als Konkurrenz wahrgenommen wird und die eigenen migrantischen Lieblinge wurden trotz ihrer Ausfälle reingewachsen. Es gibt nicht einmal mehr in dieser Frage Einigkeit, die zum Kernbestand zählte in der Bundesrepublik. Rot und Grün kochen ihr Süppchen und wollen ablenken von jeder Form von Nachteiligkeit, die halt entsteht, wenn Einwanderung sich vollzieht: Dass andere Menschen aus anderen Kulturen auch unangenehme Dinge im Rucksack mitbringen und gar nicht begreifen können, warum sie diese abgeben sollen, wo doch im Zielland alles gleich, alles happy, alles global und alles easy ist.
Ronald G. Asch hat herausgearbeitet, was die Folgen einer Politik sind; die Politik konzentriert sich nicht mehr auf die vermeintliche Befreiung der sozial Schwachen oder ist gar ob der mythischen Arbeiterklasse bemüht – sondern auf ganz spezifische gesellschaftliche Opfergruppen, die nicht über ihr Einkommen oder durch sozialen Status definiert sind, sondern durch zugeschriebene soziale Merkmale, also durch ethnische Identität, Geschlecht und Hautfarbe zum Beispiel – oder die sexuelle Orientierung.


Oberstes Prinzip der Identitäts-Politik ist die Vorstellung, dass die Gesellschaft aus Opfergruppen und aus Tätern besteht. Täter sind, ein wenig überspitzt formuliert, vor allem weiße heterosexuelle Männer, Opfer fast alle anderen, also Frauen, ethnische Minderheiten, Homosexuelle oder Personen mit ambivalenter sexueller Identität, die sich selbst einem dritten Geschlecht zuordnen. Aufgabe der Täter ist es, sich schuldig zu bekennen und rituell Buße zu tun, oder aber, noch wichtiger und vor allem erfreulicher, andere noch nicht bußfertige Täter zu ermahnen und permanent zu belehren, während die Opfer Fürsorge verdienen und ein Anrecht auf Vorzugsbehandlung haben.

Einheit des Rechts? 

Und deshalb wurde diese Woche bekannt, dass Zuwanderer einen Strafrabatt einfordern dürfen vor Gericht. Sie sind ja angeblich der deutschen Sprache nicht mächtig und leiden besonders im Gefängnis, in dem zur Unkenntnis der Richter übrigens die deutsche Sprache längst nur noch von einer Minderheit als „Muttersprache“ angegeben wird.
Die Einheit des Rechts verfällt. Da mag der noch neue Bundesinnenminister und auch die Bundeskanzlerin viel davon reden, dass es keine No-Go-Areas geben dürfe und keine rechtsfreien Räume. Sie werden längst staatlicherseits ausgewiesen durch die Praktizierung der Identäts-Politik in Förderungen wie komische „Girl´s Days“ oder Vorzugsbehandlung für Einwanderergruppen. Der Tübinger Bürgermeister Palmer hat darauf hingewiesen, dass er gesetzlich verpflichtet sei, für Zuwanderer Wohnraum zu errichten. Für Einheimische gilt das nicht.


So wird die Gesellschaft „tribalisiert“. Nein, es sind nicht allein die Clans der Zuwanderer aus Nordafrika, die die wirklichen Probleme bereiten, auch wenn sie schon schwer erträglich sind. Es ist die Tribalisierung der Gesellschaft, die wieder in Stämme zerfällt. Weil die äußeren Grenzen radikal abgebaut wurden, werden innere aufgebaut.

Jeder Volksfestplatz und jede Innenstadt ist mittlerweile mit Betonklötzen gesichert wie früher die Front mit Panzersperren. Längst gibt es wieder sichere Stadtviertel, meist rund um das Rathaus und andere wichtige, sichtbare Einrichtungen. Wer sich davon entfernt, betritt Radien abnehmender Sicherheit. Es wird unerbittlich bis zur Lächerlichkeit: Veganer gruseln sich vor Fleischessern (denen man auch mitteilt, dass sie den Planeten vernichten), Raucher sind eine tatsächlich verfolgte Minderheit, das sage ich als Nichtraucher. Radfahrer fühlen sich beim Kampf gegen den Klimawandel auf einem heroischen Feldzug gegen Autofahrer, bis sie wiederum selber einer sind, ganz nach Opportunität. Ein SUV wird zum Statement. Die Überschreitung der Grenze zur Lächerlichkeit wird nicht erkannt, aber richtig: Es gibt ja keine Grenzen mehr. Darf keine mehr geben. Nur um den eigenen Vorgarten. Der ist heiliges Land.
Die Poltik trägt dabei ihren Anteil. Sie diskutiert nicht mehr, sonder fordert blinde Gefolgschaft und trennt danach sofort in Freund und Feind.
Wer Macrons EU-Politik ablehnt – ist ein Europafeind. Wer der Einwanderungs-Politik kritisch gegenübersteht – naja, eigentlich ein Nazi und darf als solcher jederzeit seinen Job verlieren, an Uni oder Schule gemobbt werden – so weit reicht Artikel 5 Grundgesetz (zur Erinnerung: Meinungsfreiheit) schon lange nicht mehr. Wer die Energiewende kritisiert, wird für die 18.000 Toten des Tsunami in Japan verantwortlich gemacht.

Bin ich auch eine Minderheit?

Und das ist die andere Seite dieser Identitäts-Politik: Die angeblichen „Tätergruppen“ werden ihrerseits zusammengeschweißt. Es entstehen abgegrenzt agierende Zirkel mit eigenen Medien und Meinungen. Die Stämme haben eben sehr verschiedene Farben, und Pardon gibt es nur für Stammesangehörige. Ach, was waren das für gemütliche Zeiten, als wir alle ungefragt Deutsche sein durften, Männer und Frauen, katholische und evangelische, Juden dazwischen und viele, denen Religion völlig egal war, irgendwann kamen ein paar Muslime dazu und waren meist gute Nachbarn, die besten Tomaten gibt’s beim Türken und wenn die Nationalelf spielte, hängten auch die neuen Nachbarn die Nationalfahne aus dem Fenster.
Die Kanzlerin hat die Fahne weggeräumt. Es sind Symbole und symbolische Handlungen, die die Welt verändern.
Und so sucht sich jeder seinen Weg in der neuen tribalisierten Soße.  
Ich überlege mir, ob ich bei der nächsten Volkszählung doch „Migrationshintergrund“ ankreuze. Schaden kann es ja nicht, Minderheit ist immer nützlich.