Donnerstag, 19. August 2021

 




Gottspieler





Zirkelschluss auf höchster Ebene

Der 2012 verstorbene Freiheitsphilosoph Roland Baader nannte sie Gottspieler. Jene Politiker, die beseelt von einem starken Glauben an die Machbarkeit, steuernd in die Welt der Menschen eingreifen. Dabei scheint es eine starke negative Korrelation zwischen diesem Glauben und der eigentlichen Kompetenz des jeweiligen „Gottspielers“ zu geben. Das sahen wir zuletzt fast im Tagesrhythmus bei den Maßnahmen zur Corona-Pandemie. Fachfremde Politiker nehmen unliebsame Fachleute unter Druck, verkünden ohne Rücksicht auf das Grundgesetz oder gar belastbare Evidenzen einen bunten Strauß von Maßnahmen, um diese kurz darauf wieder zu ändern. Dabei scheint so manches dem Wahlkampf geschuldet und der Selbstinszenierung „starker Männer“ mehr zu dienen als der Gesundheit der Menschen. Wer daran Kritik äußerte, der wurde schnell in eine Ecke geschoben, denn über viele Jahre galt dem Medienmainstream – egal in welcher Frage – die Weisheit der Regierung als mehr oder weniger sakrosankt. Schließlich umschwirren so viele hochdotierte Experten das Machtzentrum, dass den Akteuren dort die Weisheit regelrecht mit Löffeln gefüttert zu werden scheint. Der kleine Schönheitsfehler: Oft genug handelt es sich dabei um solche „Experten“, die sich selbst bei der Politik anheischig machen, oder solche, die von der Politik ganz bewusst ausgewählt werden, weil sie deren Ansichten teilt – ein Zirkelschluss auf höchster Ebene.


Sonntagsredner und -anzüge

Nun also Afghanistan: Allein die Bundeswehr beteiligte sich dort rund 20 Jahre am „Nation Building“, ursprünglich beschlossen von der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer. Mit dem Hinweis, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde, begründete der frühere Verteidigungsminister Peter Struck die Mission. Nach zwei Jahrzehnten ist, was in der Zwischenzeit von keiner Regierungspartei je hinterfragt wurde, grandios gescheitert. Das eigentliche Wunder ist, dass dies angesichts völlig überforderter Akteure erst vor wenigen Tagen passierte. Ein „Maas“-Anzug macht eben keinen Außenminister, und Realpolitik stammt nicht aus Sonntagsreden. Auch die Verteidigungsministerin erwies sich als Totalausfall. Aber wie jeder Fisch stinkt auch dieser vom Kopfe her. Die Kanzlerin, einst substanzlos zur „mächtigsten Frau“ und „Anführerin der freien Welt“ hochgeschrieben, wurde pünktlich zum Ende ihrer Amtszeit auf Normalmaß reduziert – und auch das ist geschmeichelt, denn Militäroffensiven lassen sich nicht mit dem bewährten Merkel-Mix aus Abtauchen und Aussitzen parieren.


Gescheiterter Interventionismus

Die Sache hat auch etwas Positives, nämlich Erkenntnisgewinn für diejenigen, die es sehen können und wollen: „Gottspieler“ in den Regierungszentralen, egal ob Berlin, Brüssel oder Washington sind nicht a priori klüger oder weitsichtiger als Otto Normalbürger. Und das ist vor dem Hintergrund der Lebensläufe unseres aktuellen und künftigen politischen Personals erneut eine sehr wohlwollende Betrachtungsweise. Damit kommen wir zum Kernproblem der Einmischung der Politik in das Leben der Menschen im eigenen und auch in fernen Ländern. Diese Interventionen beruhen regelmäßig auf der bloßen Anmaßung von Wissen. Weil aber hoheitlich gehandelt wird, ist die Korrektur dieses Irrtums so schwierig, wobei das Handeln auf offener Bühne, zumal in Zeiten des Wahlkampfs, die Rechthaberei noch verschärft. Der Interventionismus als Bevormundung Erwachsener durch Erwachsene darf als vielfach gescheitertes Modell angesehen werden, besonders im Hinblick auf die dynamischen Rückkoppellungen solcher Interventionen. 


Freidrehender Zentralismus

Nun könnte man das Intervenieren einfach bleiben lassen, und sich auf Kernaufgaben wie äußere und innere Sicherheit zurückziehen. Genau das tut die Politik aber nicht. Vielmehr gibt es sogar die gegenläufige Tendenz, immer mehr Themen an sich zu reißen und diese immer weiter zu zentralisieren. So strebt beispielsweise die EU-Kommission nun auch noch die Hoheit über Gesundheitsnotstand und Pandemie an. Was macht die EU in der Sache denn eigentlich so viel besser und kompetenter als die Einzelstaaten? Oder geht es nur darum, künftig Sonderwege wie den schwedischen zu unterbinden. Denn wo es an Vergleichsmöglichkeiten fehlt, kann schließlich jeder Unsinn zur Alternativlosigkeit erklärt werden. Und da die EU gerade schon so übergriffig unterwegs ist, wurde von dort auch gleich ein EU-Vermögensregister angeregt. Wozu die Politik wohl Informationen über die vorhandenen Vermögen der Bürger braucht?! Kleiner Tipp: Das Ausnehmen der Bürger ist eine der wenigen Disziplinen, in denen die Politik ein fast durchgängig professionelles Niveau erreicht.


Auf den Zahn gefühlt

Wenn wir das europäische Kleinklein verlassen, kommt die Weltperspektive in den Blick. Die Deutschen waren schließlich nicht aus eigenem Antrieb in Afghanistan, sondern als Teil einer von den USA angeführten Mission. Und obwohl nicht nur hierzulande gerne so getan wurde, als sei unter der Biden-Präsidentschaft wieder Verlässlichkeit in die US-Außenpolitik eingekehrt, haben die USA hier schon wenige Monate nach der Amtsübernahme die schwerste Niederlage in Jahrzehnten erlitten. Der überstürzte Rückzug und die eklatante Schwäche fordern natürlich den Hauptgegenspieler China dazu heraus, Biden noch ein wenig mehr auf den Zahn zu fühlen. Postwendend erscheinen in chinesischen Zeitungen Artikel, die sich klar in Richtung Taiwan wenden. Tenor: „Die USA werden Euch (auch) nicht beschützen.“ Eine in die Enge getriebene Supermacht könnte aber weitere Fehler begehen, wozu auch Überreaktionen gehören.